- Ausstellung: Nie erzählte Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg
- Familiengeschichten
Einleitung
Der Erste Weltkrieg zerriss und zerstörte viele Familien - andere aber ließ er auch entstehen, wenn Menschen, die einander sonst wohl nicht kennen gelernt hätten, zusammen kamen. Unter dem Druck des Krieges heirateten manche schnell - nicht wissend, wie lange sie noch am Leben sein würden. Andere wurden auf Dauer voneinander getrennt. Soldaten waren aber nicht die einzigen Betroffenen: Arbeiter in Munitionsfabriken, Seeleute und Krankenschwestern mussten ihre Wohnorte verlassen, um die Anforderungen zu erfüllen, die Industrie und Krieg an sie stellten. Die drohende Möglichkeit einer Besetzung und das Entstehen neuer nationaler Grenzen lösten eine neue Flüchtlingswelle aus, besonders aus Belgien, Teilen Frankreichs und Osteuropas. Die folgenden ausgewählten Geschichten zeigen, wie der Krieg die Geschicke einiger europäischer Familien veränderte.
Liebe im Kriegsgefangenenlager
Opfer eines Gasangriffs, angeschossen und Kriegsgefangener in Deutschland: Das letzte, was der irische Soldat Joseph Heapes erwartete, war, dass er im Krieg auch Liebe finden würde.
Der 1887 geborene Heapes hatte zwischen 1906 und 1913 bereits in Indien und Burma bei den Royal Irish Rifles gedient. Aber bei Kriegsausbruch im Jahre 1914 wurde er erneut einberufen und nach Kontinentaleuropa beordert, wo er verwundet, gefangen genommen und fortan in einem Kriegsgefangenenlager in Limburg festgehalten wurde.
Während seiner Gefangenschaft noch nahm sein Leben eine völlig neue Wendung. Er schrieb Briefe an seine Schwester Theresa, die als Hausmädchen in Killiney, Dublin arbeitete. Sie ermutigte andere junge Frauen, die ebenfalls in Dienst standen, an die Kriegsgefangenen zu schreiben, um diese moralisch zu unterstützen. Eine von ihnen war Mary Fearon, eine Köchin aus Dundalk.
Sie schrieb Heapes, und die beiden wurden schnell Brieffreunde. Viele Briefe und Fotos wurden ausgetauscht, bis Heapes 1919 schließlich nach Irland zurückkehrte.
Nach den Worten von Heapes Schwiegertochter Máire Uí Éafa – die offizielle Briefe, einen Pass und Orden zu der Ausstellung in Dublin beitrug – fand Mary ganz offensichtlich Gefallen an ihm, denn das Paar heiratete im Jahre 1921 und bekam in den folgenden Jahren einen Sohn und zwei Töchter.
Der Krieg in den Augen von Kindern
Eine farbige Zeichnung eines Melone tragenden Engländers, der vor deutschem Geschützfeuer flieht, fasst die aufrichtige Entrüstung zweier Kinder zusammen, die glaubten, dass ihr Land von allen Seiten grundlos von Feinden angegriffen wurde.
Die von Texten und Gedichten begleiteten Illustrationen wurden von den Zwillingen Koepke angefertigt und spiegeln die patriotische, kriegsbegeisterte Stimmung wider, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs herrschte.
Auf einer Zeichnung streckt ein Deutscher einem Engländer die Zunge heraus. Eine andere zeigt einen Deutsch lernenden Franzosen.
Die möglicherweise aus Hamburg stammenden Kinder verfassten auch Gedichte, die sich auf Kriegsereignisse bezogen, wie etwa die Kapitulation der französischen Festung Maubeuge am 7. September 1914 und die Versenkung dreier britischer Panzerkreuzer am 22. September desselben Jahres.
Ein Gedichtvers lautet:
Wenn die Engländer nur ahnen
Das auch sie nicht erwartet großes Glück
Sie werden wünschen den Frieden zurück
Sie werden erschrocken von unserer Macht
Atemlos laufen wenn die deutsche Kanone kracht.
Frohe Ostern von der Front
In einem seiner vielen Briefe versprach der deutsche Soldat Reinhold Sieglerschmidt seiner geliebten Frau Helene Wiszwianski, den Pfingstsonntag mit ihr zu verbringen.
Am 20. April 1916 schrieb der 32-jährige: „Mein Glück, mein ganzes Glück, Ostern werde ich noch fern sein, aber das zweite Frühlingsfest – Pfingsten – wird nicht kommen ohne dass wir uns wieder nahe gewesen sind... Dein Reinholdich“
Sieglerschmidt war Leutnant der Reserve bei der 7. Batterie des 2. Garde-Reserve Fußartillerie-Regiments an der Ostfront in der Nähe von Dünaburg (Daugavpils, Lettland). Den ganzen Krieg über schrieb er in einem Tagebuch an Helene, die in Vilnius, Litauen geboren wurde und jüdischer Herkunft war.
Sieglerschmidt fiel im Februar 1918 an der Westfront und ließ Helene mit den drei Kindern allein zurück.
Sieglerschmidts Enkel Jörn Sieglerschmidt steuerte Fotos und Briefbände seines Großvaters zu der Ausstellung in Frankfurt bei.
Vater schickt seiner Tochter Spielzeug aus dem Schützengraben
Seine Tochter Ghislaine war die Person, der Charles Grauss in Gedanken stets nahe war, während er mit seinem Regiment Frankreich verteidigte.
Als Leutnant beim 339. und 286. französischen Infanterieregiment schnitzte und bemalte er eine Anzahl Bauernhoftiere zum Spielen für seine kleine Tochter. Unter den in einem Metallkästchen aufbewahrten Tieren waren ein Schwein, ein Esel, ein Kaninchen, ein Hund, eine Maus, ein Schaf, eine Ente und eine Henne. Grauss schrieb Ghislaine auch einen rührenden Brief mit lustigen Zeichnungen von ihnen beiden, dem schönen Haus, das er ihrer Mutter schenken wollte, und Küssen für das Kind, das er so innig liebte. Grauss fiel am 29. April 1918 im Alter von 37 Jahren in der Schlacht.
Zu den Erinnerungsstücken gehören auch ein Skizzenbuch mit Entwürfen, Aquarellen und Bildern von Kameraden, mit denen er an verschiedenen Orten in Frankreich stationiert war. Sie sind ein Beitrag des Memorial de Verdun, eines französischen Museums, das dem Ersten Weltkrieg gewidmet ist.
US-Soldat bringt Mädchen aus Luxemburg Englisch bei
Ein amerikanischer Offizier war so beeindruckt von der Großzügigkeit einer luxemburgischen Familie, bei der er nach dem Ersten Weltkrieg untergebracht war, dass er dem kleinen Mädchen diesen Löffel zu ihrer Erstkommunion schenkte.
Maria Wagener war neun Jahre alt, als ein junger Soldat, von dem nur sein Nachname Millner bekannt war, zusammen mit zwei anderen Amerikanern in ihrem Haus in Bettemburg einquartiert wurde.
Die Zeit, die er mit der Familie verbrachte, hinterließ bei dem kleinen Mädchen einen bleibenden Eindruck. Er passte nicht nur auf Maria auf, sondern brachte ihr auch Englisch bei. Irmine Thelen, Marias Tochter, die den Löffel beisteuerte, erzählte, wie beeindruckt ihre Mutter auch davon war, dass ein Fremder bereit war, ihrer Familie zu helfen und für ihre Freiheit zu kämpfen.
Als Zeichen seiner Dankbarkeit schenkte Millner Maria den Silberlöffel. Auf der Vorderseite sind der amerikanische Adler und der Text „War declared April 6, 1917”, „Defenders of US Freedom” eingraviert, auf der Rückseite „USA" und ein Flugzeug.
Frau Thelen, die sagte, dass sie gerne mehr über Millner erfahren würde, stellte im Rahmen des Projekts außerdem 20 Postkarten zur Verfügung, die Kriegsschäden an verschiedenen Orten und deutsche Kriegsgefangene bei der Arbeit zeigen.