- Ausstellung: Twin it! 3D for Europe’s culture
- Digitales, unerforschtes Kulturerbe
Bei der 3D-Digitalisierung gibt es viele Faktoren zu berücksichtigen, da es keine international anerkannten Standards oder Richtlinien für 3D-Projekte gibt.
Erstens: Welche Gegenstände sollten in 3D digitalisiert werden? Diese Ausstellung umfasst Modelle von Gegenständen, die Sie in der Hand halten können, bis zu Orten, an denen Sie stundenlang herumlaufen können.
Zum Beispiel ist die Pyxis von Zamora (Pyxis ist ein kleines liturgisches Gefäß) Teil der Sammlung des Nationalen Archäologischen Museums in Madrid, Spanien.
Sie wurde vom Kalifen al-Hakam II. von Córdoba in Auftrag gegeben als Geschenk für seine Geliebte Subh, eine Frau mit großem Einfluss im umayyadischen Córdoba. Sie enthielt wahrscheinlich Geschenke wie Gewürze, Schmuck, Parfüm oder feine Stoffe.
Das 964 n. Chr. hergestellte Gefäß ist etwas mehr als 17 Zentimeter hoch, hat einen Durchmesser von 11 Zentimetern und ist aus Elfenbein gefertigt. Auf seiner Oberfläche befinden sich komplizierte und filigrane Schnitzereien von Pflanzen, Blumen, Tieren und Vögeln sowie eine Inschrift. Es ist ein Beispiel für die Übertragung von Elementen, Motiven und Luxus aus dem Osten in die westliche Welt durch al-Andalus.
Dank des 3D-Modells können Sie sich diese wunderschönen Verzierungen genau ansehen.
Ein weiteres Objekt von ähnlicher Form, aber 100 Mal größer im Durchmesser als die Pyxis von Zamora, ist die Rotunde der Heiligen Margarete von Antiochien in Šivetice in der Slowakei.
Die Rotunde ist ein spätromanischer Backsteinbau aus dem frühen 13. Jahrhundert mit einem Innendurchmesser von 11 Metern. Im 18. Jahrhundert wurde dem Gebäude ein Glockenturm mit einem Eingangstor hinzugefügt. Es ist eines der größten kreisförmigen romanischen Bauwerke in Mitteleuropa und eines der wichtigsten Denkmäler aus dieser Zeit in der Slowakei.
Nutzen Sie das 3D-Modell, um sich die Rotunde anzuschauen, die Verwitterung jedes Ziegelsteins zu erkennen und sogar die Blumen zu sehen, die auf den Grabsteinen ringsum niedergelegt wurden.
Warum ist die 3D-Digitalisierung für Kulturerbestätten wichtig?
Sobald Sie sich dafür entschieden haben, was digitalisiert werden soll, gibt es viele weitere Überlegungen. Welche Geräte sollten Sie für die Digitalisierung verwenden? Wo befindet sich die Stätte selbst, oder wo soll das Objekt zum Scannen platziert werden? Wie sind die Lichtverhältnisse? Wie erfassen Sie die Textur der Materialien?
Aus diesen und vielen anderen Gründen dauert es seine Zeit, einen physischen Gegenstand oder ein Gebäude in ein 3D-Modell umzuwandeln. Daher ist die 3D-Digitalisierung solcher Kulturgüter in Europa derzeit relativ gering. Die Beteiligung an der Twin it!- Kampagne ist daher ein wichtiger Schritt nach vorn.
Nehmen Sie zum Beispiel den Nationalpalast von Mafra in Portugal. Der Palast befindet sich etwa 30 Kilometer nordwestlich von Lissabon. Er wurde 1711 von König Dom João V. in Auftrag gegeben und umfasst einen Königspalast, eine Basilika, ein Kloster, einen Garten und ein Wildreservat.
Obwohl der Nationalpalast von Mafra seit 2019 auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht, wurde er bis jetzt noch nicht in 3D digitalisiert.
Fort Louvigny by MNAHA on Sketchfab
Eine weitere Stätte, die jetzt ihre erste digitale Dokumentation erhält, ist Fort Louvigny in Luxemburg, eine Redoute (temporäre oder zusätzliche Festung) mit einer frei stehenden Bastion. Unter der Stadt verlaufen zahlreiche unterirdische Gänge, von denen einige im 3D-Modell zu sehen sind.
Die Anlage war Teil der 1672–73 errichteten Befestigungsanlagen der Stadt. Sie ist nach General Louvigny von der spanischen Habsburger Armee benannt, der die Verstärkung der Verteidigungsanlagen der Stadt im Zuge der europäischen Kriege von Ludwig XIV. veranlasste.
Die Festung wurde 1869 geschleift, nachdem der Londoner Vertrag von 1867 die Neutralität Luxemburgs und den Abbau der Festung vorgesehen hatte.
An der gleichen Stelle steht heute die Villa Louvigny aus dem 20. Jahrhundert mit ihrem „Grand Auditoire“. Sie wurde am 18. Mai 1953 eingeweiht, um Konzerte zu übertragen und als Proberaum für das Radio Luxemburg/RTL Symphonieorchester (gegründet 1933) zu dienen. Die Villa Louvigny beherbergte den ehemaligen Hauptsitz der „Société luxembourgeoise de radio et de télévision“ und war in den 1960er-Jahren zweimal Gastgeber des Eurovision Song Contest.
Die Landschaften um die Villa Louvigny sind als Stadtpark für die Öffentlichkeit zugänglich. Jetzt kann die Öffentlichkeit auch das Innere des Grand Auditoire in 3D erkunden.
Wie kann die 3D-Digitalisierung zum Erhalt des kulturellen Erbes beitragen?
3D-Modelle bieten sowohl interessierten Besuchern als auch engagierten Forschern die Möglichkeit, Objekte und Stätten auf interaktive und detaillierte Weise zu erkunden, ohne ihren Arbeitsplatz verlassen zu müssen und ohne Schäden zu verursachen, die selbst eine behutsame physische Erkundung verursachen kann.
Fachleute, die sich mit dem kulturellen Erbe befassen, können anhand von 3D-Versionen von fragilen Stätten und Objekten deren Zustand verfolgen und Prioritäten für zukünftige Restaurierungen setzen.
Sollte einmal der Ernstfall eintreten und das Kulturgut verloren gehen oder zerstört werden, können Fachleute aus Forschung und Industrie, wie Ingenieure, 3D-Inhalte für die Wiederherstellung nutzen.
Die Ruinen der Burg Momjan in Momiano im nördlichen Istrien, Kroatien, befinden sich auf einem isolierten Felsvorsprung, der auf allen Seiten von steilen und tiefen Klippen umgeben ist.
Heute ist die Burg eine Ruine. Erhalten sind lediglich ein quadratischer Turm, einige Umfassungsmauern und die Überreste der Zugbrücke, die einst als Zugang zur Burg diente.
Die frühesten bekannten Berichte datieren die Burg auf die 1230er Jahre. Sie wurde in den 1830er-Jahren aufgegeben und verfiel schnell. Der einst prächtige Bau verfiel innerhalb von 100 Jahren zu einer kargen Ruine.
Das 3D-Modell ist ein großer Beitrag zur Erforschung mittelalterlicher Festungsanlagen und hilft uns, die Nutzung und architektonische Entwicklung ähnlicher Komplexe in Istrien und darüber hinaus zu verstehen.
Als Baustoff hält Holz nicht immer den Jahrhunderten stand. Dieses Holzgebäude aus dem 18. Jahrhundert gehörte zum Gut Arvistava in Rumšiškės, Litauen. Es ist das einzige erhaltene Gebäude dieser Art in Litauen und ein wertvolles Beispiel für die litauische Holzarchitektur der Barockzeit. Es wurde bereits dekonstruiert und physisch rekonstruiert und nun in 3D nachgebaut, um es für zukünftige Generationen zu erhalten.
Das Gebäude verfügt über ein verziertes Dach mit einem geformten Gesims. Die Hauptfassade wird von sechs Holzsäulen getragen. Die Außenwände sind mit einer vertikalen Beplankung verkleidet und gelb gestrichen. Das Bauwerk repräsentiert das Zusammenspiel von traditioneller Bauweise und adliger Architektur in Litauen.
In den 1980er-Jahren wurde das Gebäude dem Litauischen Volkskundemuseum geschenkt. Zu dieser Zeit war das Gebäude völlig baufällig – ein Teil wurde sogar als Schweinestall genutzt! Im Jahr 1987 wurde es abgebaut und zum Museum transportiert, wo es gelagert und schließlich 2010 wieder aufgebaut wurde.
Die Cittadella auf der maltesischen Insel Gozo ist ein noch weitläufigerer Ort mit einer reichen Geschichte, die bis in die Bronzezeit zurückreicht. Im Laufe der Jahrhunderte war sie ein bedeutsamer Ort für die Phönizier, Römer, Byzantiner, Araber, Normannen, Osmanen, Franzosen und Briten. Die erhaltenen Gebäude sind von großem architektonischem Wert und bieten ein gutes Bild der verschiedenen architektonischen Stilebenen vom späten Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert.
Durch seine Lage auf einem natürlichen, flachen Hügel diente der Ort viele Jahrhunderte lang als Festung, um die sich nach und nach eine Stadt entwickelte. Im Jahr 1868 wurde sie als militärische Anlage stillgelegt.
Die jahrhundertelange Vernachlässigung und Plünderung von Steinmaterial haben die Cittadella in eine Ruine verwandelt und täuschen über ihre Geschichte als gut bevölkerte Festungsstadt in ihrer Blütezeit hinweg. Die 3D-Rekonstruktion von Gozo hilft den heutigen Besuchern, das Ausmaß und die historische Bedeutung der Stadt zu verstehen.
Wie können 3D-Modelle unterrepräsentierte Geschichten sichtbar machen?
Die Große Synagoge von Erfurt wurde 1884 eingeweiht. Sie wurde von dem Architekten Siegfried Kusnitzky entworfen, bot Platz für 500 Gläubige und stellte einen Meilenstein in der deutsch-jüdischen Geschichte Erfurts dar. Nachdem die Ansiedlung von Juden in Erfurt 350 Jahre lang verboten war, war es ihnen erst vor Kurzem erlaubt worden, sich hier niederzulassen. Die jüdische Bevölkerung wuchs so rasch an, dass die bestehende Synagoge den Anforderungen nicht mehr genügte und eine neue gebaut werden musste.
Im Jahr 1938 wurde sie während der Novemberpogrome unter dem Nazi-Regime in Deutschland zerstört. Diese 3D-Rekonstruktion trägt dazu bei, ein historisches Bewusstsein für den kulturellen Reichtum des jüdischen Lebens zu schaffen.
Eine weitere Synagoge mit einer ähnlichen Geschichte war die Alte Synagoge in Wiesbaden, die größte der fünf Synagogen der Stadt. Sie wurde von dem Architekten Phillip Hoffmann entworfen und befand sich im Stadtteil Michelsberg. Sie wurde in den 1860er-Jahren erbaut und wurde ebenfalls bei den Novemberpogromen 1938 zerstört.
Beide 3D-Modelle ermöglichen Besuchern, diese historischen und religiös bedeutenden Gebäude zu begehen und sie zu erleben. Von den fünf Synagogen in Wiesbaden, die 1938 zerstört wurden, ist diese die Einzige, die als 3D-Rekonstruktion verfügbar ist.
Auch die Beiträge von Frauen zu Kunst, Kultur, Geschichte und Gesellschaft sind häufig unterrepräsentiert. Obwohl die Geschichten und Erfahrungen von Frauen oft im Mittelpunkt vieler Gesellschaften stehen, sind sie in Archiven und Sammlungen unterrepräsentiert.
Es gibt zum Beispiel nur sehr wenige prähistorische Darstellungen von Frauen, aber die Venus von Brassempouy, die jetzt als 3D-Modell gerendert wurde, ist eine von ihnen. Sie wurde zusammen mit vier anderen Statuetten aus Mammut-Elfenbein 1894 von Édouard Piette und Joseph de Laporterie in der Höhle des Papstes in Brassempouy (Landes), Frankreich, entdeckt.
Mammutelfenbein ist ein extrem zerbrechliches Material. Es ist daher fast unglaublich, dass dieser Kopf seit der Gravettien-Periode, vor 34.500–25.000 Jahren, praktisch unversehrt überlebt hat. Fein gravierte Details zeigen einen langen und anmutigen Hals, einen dreieckigen Kopf mit breiter Stirn und spitzem Kinn, umrahmt von einer Frisur, die als geflochtenes Haar, ein Muschelnetz oder sogar eine Kapuze interpretiert wird.
Ein Zeitsprung in die 21. Dynastie Ägyptens (ca. 1069–945 v. Chr.): Dieser innere Sarg eines Sarkophags befindet sich in der ägyptischen Sammlung des Königlichen Museums für Kunst und Geschichte in Brüssel, Belgien.
Der Sarg ist für eine Frau bestimmt – die Inschrift am Fuß des Sarges besagt, dass die Verstorbene eine Sängerin des Amon (einer ägyptischen Gottheit, die als König der Götter verehrt wurde) war, aber ihr Name wurde ausgespart. Die Verzierungen auf dem Sarg zeigen Szenen, die sich auf ägyptische Bestattungspraktiken beziehen.
Die Amon-Sängerin wird dabei gezeigt, wie sie die Prüfung des Wiegens ihres Herzens besteht und sich den Hütern des Jenseits anbietet. Im Jenseits wird sie von ihrem „Ba“ (Seelenvogel) begleitet, während sie vor der Baumgöttin und der Göttin Hathor betet, die als Kuh dargestellt wird (Beschützerin der Nekropole).
In den 1930er-Jahren wurde Belgien als „Hauptstadt der Ägyptologie“ bezeichnet und das Interesse an der Erklärung und Weitergabe der ägyptischen Geschichte besteht noch heute. Der Einsatz von 3D-Technologie zur Bewahrung und Erforschung ermöglicht es, dieses Erbe zu erforschen und auf möglichst sinnvolle Weise mit den Kulturerben, zu denen es ursprünglich gehört, zu teilen.
Hans Christian Andersens Märchen Die kleine Meerjungfrau wurde 1837 veröffentlicht, und 1909 fand in Kopenhagen eine Ballettaufführung der Geschichte statt. Nicht lange danach entstanden zwei dänische Skulpturen, die das Thema Meerjungfrau aufgreifen, sich aber in ihrer Interpretation unterscheiden.
Die erste ist die heute berühmte, traditionell weibliche und verführerische Skulptur von Edvard Eriksen aus dem Jahr 1913, die sich in Kopenhagen befindet. Die Zweite ist die Skulptur von Anne Marie Carl-Nielsen aus dem Jahr 1921, die zu einem wichtigen Werk in der Geschichte des dänischen Vitalismus und der dänischen Skulptur im Allgemeinen geworden ist.
Anne Marie Carl-Nielsens Meerjungfrau begrüßt die Welt mit einem Schrei, wobei ihr Mund und ihre großen fischartigen Augen geöffnet sind. Die Meerjungfrau ist eine amphibische Kreatur mit einem menschlichen Oberkörper und dem Unterkörper eines Fisches – einem Schwanz mit stilisierten Fischschuppen. Anne Marie Carl-Nielsens Meerjungfrau scheint lebendig zu sein, mit Lebensfreude und innerer Stärke, während sie gleichzeitig Verzweiflung und Verlust zu repräsentieren scheint.
Es gibt mehrere Versionen der Statue. Eine Bronzeskulptur, die 1921 gegossen wurde, ist in der dänischen Nationalgalerie zu sehen. Ein weiterer Abguss wurde 2009 vor der Königlich Dänischen Bibliothek in Kopenhagen aufgestellt. Das ursprüngliche Gipsmodell ist im Besitz des Carl Nielsen Museums und wird im Kunstmuseum Fünen in Odense ausgestellt.