- Ausstellung: Die Pille
- Emanzipation oder geschlechtsspezifische Voreingenommenheit?
Die Antibabypille ist eine Erfindung, die sich als emanzipatorisch erwiesen hat, denn sie gab Menschen mit Gebärmutter die Möglichkeit zu entscheiden, ob und wann sie eine Familie gründen möchten. Vor allem die Zuverlässigkeit, die Verfügbarkeit und die einfache Anwendung der Pille waren wegweisend. Aber ist damit die volle Emanzipation erreicht? Man könnte die Frage stellen, ob die Verhütung einer Schwangerschaft nicht grundsätzlich eine gemeinsame Verantwortung sein sollte.
„Der Mann ist der Chef, aber warum?“ Diskussionen über die Stellung der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft während einer Anti-Diskriminierungsmesse in Dronten, Niederlande, 1970. Netherlands Institute for Sound and Vision. CC BY-SA
In Großbritannien stellten Aktivistinnen des Contraception Action Programme öffentlich die geltenden Verhütungsgesetze nach dem Health (Family Planning) Act von 1979 in Frage, die sie für restriktiv, elitär, voreingenommen und von männlicher Heuchelei inspiriert hielten. Das Kampagnenbild zeigte männliche Politiker aus dieser Zeit, die alle mit aufgeblähten Bäuchen prahlten, und warf die Frage auf: „Wenn sie schwanger würden, hätten wir dann dieses Gesetz?“
Die Frage der männlichen Verantwortung in einer breiteren öffentlichen Debatte über Familienplanung zu thematisieren, stand auch im Mittelpunkt einer legendären Plakatkampagne, die Großbritannien in den 1970er Jahren im Sturm eroberte.
Das Poster „Would you be more careful if it was you that got pregnant?“ wurde geschaffen, um das Bewusstsein für Verhütung, sicheren Sex und Familienplanung zu schärfen. Es war Teil einer Kampagne von Family Planning UK und wurde in Wartezimmern von Arztpraxen ausgehängt.
Dieses Plakat aus dem vor-digitalen Zeitalter hatte zunächst eine verblüffende und sogar beleidigende Wirkung. Diese Schocktaktik lenkte die Aufmerksamkeit der Männer wirkungsvoll auf das Problem der ungewollten Schwangerschaft - das Schwangerschaftsmotiv, das die biologische Männlichkeit des Models untergräbt, regt zum Nachdenken an. Zudem spiegelt der Gesichtsausdruck des Models die Verzweiflung wider, die der Zustand einer ungewollten Schwangerschaft mit sich bringen kann. Die legendäre Werbekampagne wurde mehrfach ausgezeichnet und inspirierte eine ganze Reihe weiterer Werbedesigns. Das nachstehende Werbemotiv des Empfängnisverhütungs-Versandhauses NVSH wurde Anfang der 1970er Jahre veröffentlicht und lehnt sich deutlich an das Plakat zur Familienplanung an.
Es bleibt die Frage: Sind Emanzipation und Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht, solange bei der Einnahme der Antibabypille keine Wahl besteht, ob der Partner oder die Partnerin die Antibabypille nimmt?
Überraschenderweise scheint es in den späten 1950er Jahren eine Debatte über eine Verhütungspille für Cis-Männer gegeben zu haben, noch bevor die Entwicklung der Version für die Frau in Gang kam. In den folgenden Jahrzehnten wurden zwar viele Möglichkeiten erforscht, aber bis heute ist kein Produkt auf den Markt gekommen, das mit der Pille mithalten könnte. Die pharmazeutische Industrie folgt in dieser Hinsicht nicht der Wissenschaft, denn in der Vergangenheit hat es bereits erfolgreiche Studien gegeben.
Forscher versuchen, eine Antibabypille für Männer zu entwickeln, 1975, Danish Broadcasting Corporation. In copyright
Nach Ansicht des Erfinders der Antibabypille wird es die Pille für den Mann frühestens in 20 Jahren geben, 1995, Danish Broadcasting Corporation. In copyright
Während Wissenschaftler weiter an einer Pille für Menschen ohne Gebärmutter forschen, werden andere experimentelle Ansätze erforscht, darunter ein nicht-hormonelles orales Verhütungsmittel, das die Orgasmuserfahrung bewahrt, aber den Samenerguss verhindert. Seit Ende des Jahrhunderts haben Menschen ohne Penis das Kondom wieder erfolgreich zum Einsatz gebracht.
Das „Frauenkondom“ oder Femidom wurde von dem dänischen Arzt Lasse Hessel erfunden und sollte beim Geschlechtsverkehr getragen werden, um den Kontakt mit Körperflüssigkeiten zu verhindern. Das Femidom kam 1990 in Europa auf den Markt und wurde durch mehrere internationale Kampagnen unterstützt. Obwohl sich das Produkt durchgesetzt hat, ist ein weltweiter Durchbruch noch nicht gelungen. Schuld daran ist zum Teil der nach wie vor relativ hohe Preis (das Zwei- bis Dreifache eines herkömmlichen Kondoms), der auf die strengen Auflagen für die Herstellung zurückzuführen ist: In den Vereinigten Staaten ist das Femidom als Medizinprodukt eine Klasse höher eingestuft als die andere Variante. Deshalb zögern die Hersteller, damit auf den Markt zu gehen.
Abgesehen von Schwierigkeiten in der Forschung, zögerlichen Herstellern und kommerziellen Erwägungen des Pharmamarktes scheint die kulturelle Voreingenommenheit immer noch ein wichtiger Faktor bei der Frage zu sein, was wir für den „besten“ Weg für geschützten Geschlechtsverkehr und die Familiengründung halten. Während Cis-Männer befürchten, dass eine Pille körperliche und psychische Auswirkungen auf ihr sexuelles Erleben haben könnte, scheint das Aushalten solcher Nebenwirkungen bei Menschen, die menstruieren, kaum eine Rolle in der Debatte zu spielen. Andererseits wird der Gedanke, die Kontrolle über die Familienplanung abzugeben, von vielen Menschen als ein Schritt zurück in die Zeit vor der Emanzipation angesehen.
Während die Debatte andauert, geht auch der Wandel von Wissenschaft, Technik, Märkten und gesellschaftliche Konventionen weiter. Das 20. Jahrhundert hat jedoch einen wichtigen Maßstab gesetzt: Die Strategie der Empfängnisverhütung ist Teil des gemeinsamen Lebensweges eines Paares, auf dem viele verschiedene Richtungen eingeschlagen werden können.