Einleitung
Das Lazarett als Militärkrankenhaus ist ein Ort, der erst durch den Krieg seine Funktion erhält und sie nach Kriegsende wieder verliert. Lazarette sind Orte, die nur übergangsweise bestehen und daher in verschiedensten Formen erscheinen können: Schulen, Sanatorien oder Verwaltungsgebäude dienen ebenso als Lazarette wie Kirchenschiffe, die zu Operationsräumen, und Opernsäle, die zu Schlafsälen umgewandelt werden.
Feldlazarette müssen der Front folgen können und somit beweglich sein. Sie befinden sich oft in Zelten oder Zeltlagern. Beweglich sind auch Lazarettzüge und Lazarettschiffe. Sie bringen die Schwerverwundeten von der Front in die Heimat und markieren den Übergang vom gesunden Menschen zum Invaliden.
(Un)Ordnung
Die militärische Ordnung, die den Alltag der Soldaten bestimmt, wird auch im Lazarett aufrechterhalten. Dies gilt insbesondere für frontferne Einrichtungen, in denen die Soldaten zur weiteren Behandlung oder zur Erholung untergebracht sind. Ein genau geregelter Tagesablauf und die Einhaltung von Pflichten und Verboten sind hierbei sowohl für die Genesung als auch für die Aufrechterhaltung der Disziplin notwendig. Den Soldaten wird während des Lazarettaufenthalts stets vergegenwärtigt, dass sie weiterhin der militärischen Ordnung unterliegen.
Diese befohlene Beibehaltung militärischer Ordnung steht im Kontrast zu den Bemühungen des Lazarettpersonals, an den ihnen bekannten – zumeist bürgerlichen – Ordnungsmustern festzuhalten. Vor diesem Hintergrund kann beispielsweise das Anlegen von Foto- und Andenkenalben durch Krankenschwestern als Versuch gedeutet werden, Verbindung zu ihrem Vorkriegsleben zu halten. Auch die Fotografien aus den Lazaretten vermitteln das Bild einer vermeintlichen Ordnung.
Dieser imaginierten „heilen Welt“ steht jedoch das alltägliche Chaos aus Improvisation, Mangel, Blut, Tod und Dreck gegenüber, welches in vielen Lazaretten herrscht. Während den Phasen intensiver Kampfhandlungen werden in den frontnahen Lazaretten innerhalb kürzester Zeit hunderte verwundete Soldaten eingeliefert. Die Erstbehandlung und Versorgung der Soldaten erfolgt in dieser Zeit häufig improvisiert und hält sich nur bedingt an die strengen Vorschriften. Hierbei werden nicht selten die starren Hierarchien und die Rollenbilder innerhalb des Lazarettpersonals und der Kriegsgesellschaft aufgebrochen.
Kampf gegen den Massentod
Im Ersten Weltkrieg sterben erstmals mehr Soldaten an ihren Verwundungen als an Seuchen und Krankheiten. Dies ist zum einen auf die gefährlicheren Verletzungen, die durch den Einsatz von modernen Waffen wie etwa Maschinengewehren und Giftgas entstanden sind, zurückzuführen. Zum anderen ermöglicht der medizinische Fortschritt der Vorkriegsjahre eine bessere Bekämpfung von Kriegsseuchen wie Typhus und Cholera. Der Krieg ermöglicht der medizinischen Wissenschaft, besonders im Bereich der Epidemiologie, experimentelle Erkenntnisse in massenhafter Anwendung zu erforschen.
Die Wechselwirkungen von Krieg und medizinischer Forschung werden auch am Beispiel der Bluttransfusion deutlich. Verwundungen, die einen hohen Blutverlust nach sich ziehen, können mit diesem – bereits zuvor bekannten – Verfahren erstmals in größerem Umfang behandelt werden. Die Grundlage hierfür bildet die großflächige Typisierung der Blutgruppen von Millionen von Soldaten. So schafft der Krieg sowohl die Notwendigkeit als auch die Voraussetzungen der Bluttransfusion, die nach 1918 Teil der zivilen Medizin wird.
Neben den körperlichen Verletzungen sind es vor allem die psychischen Erkrankungen, die die Lazarette des Ersten Weltkriegs prägen. Kriegsneurosen oder „Kriegszittern“ werden hierbei zwar als Krankheiten anerkannt, gleichzeitig aber häufig als Folge von schon vorhandener „Charakterschwäche“ angesehen. Dies führt zu Behandlungsmethoden, wie Elektroschocktherapie, „Hungerkuren“ oder Isolation, die dazu dienen sollen, den mutmaßlich gebrochenen Willen des Erkrankten wiederherzustellen.
Leben, Sterben, Überleben
Die Verwundeten, die ins Lazarett kommen, sind unterschiedlich schwer verletzt. Viele werden ihren Aufenthalt nicht überleben. Verstorbene werden oft vor Ort auf angegliederten Friedhöfen bestattet. Viele, die als Invaliden nach Hause geschickt werden, werden auch nach Kriegsende kein normales Leben mehr führen können. Für sie bedeutete das Lazarett den Übergang in ein Leben mit einem versehrten, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit zerstörten Körper. Männer mit psychischen Erkrankungen haben es oft sehr schwer, sich wieder an die Strukturen ihres vorherigen Lebens zu gewöhnen.
Sehr viele Soldaten verbringen aber auch aufgrund einfacher Erkrankungen, Seuchen oder zur Entlausung eine gewisse Zeit im Lazarett. Ähnlich wie für diejenigen, die leicht verwundet sind und verarztet werden können, bedeutet der Lazarettaufenthalt für sie eine Pause vom Kampf an der Front, in der auch verschiedene Freizeitbeschäftigungen stattfinden. Sie vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen oder Musizieren und versuchen sich von den Strapazen der vergangenen Wochen zu erholen. Dennoch müssen sie ihre Funktion als Soldaten auch jetzt jederzeit aufrecht erhalten und bereit sein, zurück in die Schützengräben zu gehen.