Einleitung
Der Zeitpunkt der Gefangennahme von Soldaten und Zivilisten sowie ihre Reise ins Lager markieren einen Übergang, der nicht mit dem Verlust der Freiheit gleichgesetzt werden darf. Paradoxerweise kann das Lagerleben, wenn man nicht in einem Hungerlager landet, für viele Soldaten eine Verbesserung der Lebensqualität darstellen. Innerhalb des Lagers eignen sich die Gefangenen gezwungenermaßen eine neue, von ihrer ursprünglichen Rolle des Kämpfers abweichende, Identität an, die es ihnen ermöglicht, sich in der neuen Lebenssituation zurechtzufinden. Die Heimkehr bedeutet für viele Menschen eine erneute Identitätssuche, da sie nach jahrelanger Gefangenschaft das autonome Handeln nicht mehr gewohnt sind und zudem mit den Folgen und der Zerstörung des Krieges konfrontiert werden.
Der Weg ins Lager
Ein Soldat wird gemäß des Haager Abkommens gefangen genommen, wenn er verletzt ist oder sich freiwillig ergibt. Der Soldat ist nun Kriegsgefangener. Zivilisten können zur Zwangsarbeit verpflichtet werden oder werden, wenn sie sich im Ausland befinden, als „Feinde“ interniert. Der Vorgang der Festnahme wird später innerhalb des Lagers oftmals verschwiegen, da die Kapitulation als unehrenhaft empfunden wird. Oft dauert es bis zu drei Monaten, bevor man als offizieller Kriegsgefangener in einem Lager registriert ist. In der Zwischenzeit müssen die Gefangenen beschwerliche Fußmärsche oder Zugfahrten auf sich nehmen, um in die Lager zu gelangen. Während dieser langen Reisen kommt es zur ersten Kontaktaufnahme zwischen Gefangenen, Aufsehern und Zivilisten. Gewalt, unzureichende hygienische Verhältnisse, schlechte Ernährung und Beschimpfungen der Zivilisten gehören zum Alltag auf der Reise ‒ eine Erfahrung, die vielen Internierten noch lange in Erinnerung bleiben wird. Die Reise ins Lager stellt nicht nur physisch, sondern auch psychisch einen Übergangsort dar, da die Gefangenen in Ungewissheit bleiben, welches Schicksal sie erwartet und welche Rolle sie im Lager annehmen werden.
Lageralltag
Das Alltagsleben in einem Kriegsgefangenenlager variiert je nach Ort, Jahreszeit und Zustand des Lagers. Auch der Dienstgrad und der soziale Status eines Gefangenen spielen eine große Rolle. Offiziere und wohlhabende Zivilisten werden besser behandelt als der Rest der Gefangenen. Die Erfahrungsberichte ehemaliger Gefangener spiegeln diese Unterschiede wider, die in der Einschätzung der Qualität des Essens, der Unterkunft sowie der täglichen Arbeiten große Differenzen aufweisen. Für die Behandlung der Soldaten mit niedrigerem Dienstgrad spielen Berichte wie Gerüchte über die Zustände in den Lagern eine wichtige Rolle: Sind die Lageraufseher der Meinung, ihre Landsleute würden im feindlichen Lager schlecht behandelt, entlädt sich dies in Vergeltungsakten gegenüber den eigenen Gefangenen. Gewalt, Bestechung und Fluchtversuche stellen im Lager jedoch Ausnahmesituationen dar. Den Großteil der Zeit verbringen die Insassen damit, ihre Langeweile durch Aktivitäten wie Malen, Musizieren und Spielen zu vertreiben. Auch körperliche Arbeit gehört zu den Aufgaben der Gefangenen, die meistens außerhalb des Lagers, in Steinbrüchen, in der Landwirtschaft oder im Verkehrswesen verrichtet wird. Die schwere Arbeit ist, wenn überhaupt, gering bezahlt, wie beispielsweise in Großbritannien und Frankreich, und kann bei mangelnder Leistung auch Strafen zur Folge haben.
Post und Kommunikation
Die Korrespondenz mit der Außenwelt durch den Empfang und das Versenden von Briefen, Postkarten und Päckchen markiert einen besonderen Ort des Übergangs in Kriegsgefangenenlagern. Der Kontakt mit Familienmitgliedern, geliebten Menschen und Kriegskameraden ermöglicht den Gefangenen, ein Gefühl von Optimismus aufrecht zu erhalten. Zudem erhalten sie Einfluss auf das Bild, welches die Außenwelt von ihnen hat: Sie beschreiben sich nicht als besiegte Gefangene, sondern als eingesperrte, aber heldenhafte Soldaten, die noch immer im Kampf stehen würden, wenn auch an einer anderen Front. Viele Briefe berichten von den Umständen, die zur Gefangennahme geführt haben, von subversiven Aktivitäten im Lager und gelegentlich sogar von Fluchtplänen.
In Großbritannien, Frankreich und im Deutschen Reich ist das Postsystem auch im Krieg recht effizient, sodass Briefe ungefähr zehn Tage unterwegs sind bis sie den Empfänger erreichen. Störungen im Postsystem haben signifikante Auswirkungen auf den mentalen Zustand der Gefangenen, die voller Vorfreude und Sehnsucht auf Antwort warten. Auch bei den dringend benötigten Hilfspaketen des Roten Kreuzes sind die Insassen auf das Postsystem angewiesen. Darin enthalten sind auch Poster und Postkarten, die die Moral der Gefangenen stärken und aufrechterhalten sollen.